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In diesem Abschnitt

Wirkmechanismus von Antipsychotika:

  • Die Schlüsselrolle für die Wirksamkeit von Antipsychotika ist die Blockade der Dopamin‑D2‑Rezeptoren, die bei allen Antipsychotika in unterschiedlichem Masse gegeben ist.
  • Antipsychotika der ersten (typischen) und zweiten (atypischen) Generation sind Dopamin‑D2‑Rezeptor-Antagonisten.
  • Präparate, die als partielle Dopaminrezeptor-Agonisten wirken, stellen eine dritte Generation von Antipsychotika dar.
  • Die Wirkung von partiellen Dopaminrezeptor-Agonisten hängt von der Menge des natürlich vorkommenden Dopamins im Gehirn ab.
  • Partialagonisten entfalten an den Zielrezeptoren eine funktionelle antagonistische Wirkung, sofern der Neurotransmitterspiegel hoch ist, und eine funktionelle agonistische Wirkung bei niedrigem Neurotransmitterspiegel.

In diesem Abschnitt

Antipsychotika sind der Grundpfeiler der Behandlung der Schizophrenie. Seit der zufälligen Entdeckung von Chlorpromazin in den 1950er Jahren wurden im Rahmen der Konzeption und Entwicklung dieser Arzneimittel mehr als 30 verschiedene Antipsychotika zugelassen. Obwohl sich die Rezeptoraffinitätsprofile dieser Medikamente erheblich unterscheiden, zeigen alle Antipsychotika bei therapeutischen Dosen eine starke Bindung an Dopamin-D2-Rezeptoren – diese Affinität ist für die therapeutische Wirksamkeit entscheidend.1
  


Klassen von Antipsychotika

Das klinische Wirksamkeitsprofil typischer Antipsychotika basiert auf einer hohen Affinität zu Dopamin‑D2‑Rezeptoren und einer vollständigen antagonistischen Wirkung an diesen. Aufgrund dieses Rezeptorbindungsprofils sind typische Antipsychotika bei der Behandlung der Positivsymptome der Schizophrenie wirksam, können aber die Negativsymptome und kognitiven Beeinträchtigungen, die ebenfalls mit der Schizophrenie einhergehen, nicht lindern. Therapeutische Dosen dieser Arzneimittel verursachen auch in hohem Masse extrapyramidale Symptome (EPS), eine unerwünschte Wirkung, die durch die Antagonisierung von Dopaminrezeptoren im nigrostriatalen System verursacht wird.2

Wie die typischen Antipsychotika sind auch die atypischen Antipsychotika Antagonisten an D2-Rezeptoren. Sie zeichnen sich jedoch durch eine geringere Neigung zu EPS aus und binden an eine Vielzahl von Rezeptortypen.2 Mehrere dieser Arzneimittel haben beispielsweise eine hohe Affinität zu den Serotonin‑5‑HT2A-Rezeptoren im Verhältnis zur Blockade der Dopamin-D2– und -D3-Rezeptoren.1

Typische und atypische Antipsychotika wirken beide als vollständige Antagonisten an D2‑Rezeptoren, obwohl sie eine deutlich unterschiedliche Affinität aufweisen. Es wird angenommen, dass die vielfältigen mit Schizophrenie assoziierten Symptome auf eine Kombination aus über- und unteraktiven dopaminergen Bahnen zurückzuführen sind. Darüber hinaus kann die Wirkung von Antagonisten auf dopaminerge Bahnen, die nicht so stark in die Pathophysiologie der Schizophrenie involviert sind, wie beispielsweise die nigrostriatalen oder tubero-infundibulären Bahnen, zu schweren unerwünschten Wirkungen führen, wie EPS und Hyperprolaktinämie, und die negativen und kognitiven Symptome verstärken.

Angesichts dieser Komplikationen könnte ein Arzneimittel, das die Neurotransmission durch Dopamin unter verschiedenen physiologischen Bedingungen unterschiedlich beeinflussen kann, therapeutische und sicherheitstechnische Vorteile gegenüber den derzeit verfügbaren Antipsychotika bieten.2 Ein Partialagonist könnte dazu in der Lage sein – Antipsychotika wie Aripiprazol, Brexpiprazol und Cariprazin, die über einen partiellen Agonismus an Dopamin‑D2– und -D3‑Rezeptoren wirken, stellen eine dritte Generation von Antipsychotika dar.1


Was ist also ein Partialagonist?

Partialagonisten können entweder als funktioneller Agonist oder als funktioneller Antagonist wirken, je nachdem, wie viel des vollständigen Agonisten (z. B. des endogenen Neurotransmitters) in der Umgebung vorhanden ist. Im Vergleich zu vollständigen Agonisten haben partielle Agonisten eine geringere intrinsische Aktivität. In Abwesenheit eines vollständigen Agonisten können partielle Agonisten an den Rezeptor binden, um eine Reaktion hervorzurufen. Sie entfalten also eine funktionelle agonistische Aktivität. In Anwesenheit eines vollständigen Agonisten jedoch reduziert die Rezeptorbindung eines partiellen Agonisten die Reaktion des Agonisten, was eine funktionelle antagonistische Aktivität darstellt.2,3

Quellen: Adapted from Lieberman, J. A. Dopamine partial agonists: A new class of antipsychotic. CNS Drugs 18, 251–267 (2004)2; Lambert, D. G. Drugs and receptors. Contin. Educ. Anaesthesia, Crit. Care Pain 4, 181–184 (2004).3


Der partielle Agonismus an Dopamin‑D2‑Rezeptoren stellt somit eine interessante Option für die Behandlung der Symptome der Schizophrenie dar. Ein Partialagonist sollte als funktioneller Antagonist auf dem mesolimbischen Pfad wirken, wo eine übermässige Dopaminaktivität vermutlich Positivsymptome verursacht, während ein Partialagonist als funktioneller Agonist auf dem mesokortikalen Pfad wirken sollte, wo eine verringerte Dopaminaktivität mit negativen Symptomen und kognitiven Beeinträchtigungen assoziiert sein kann. Darüber hinaus kann ein partieller Agonismus auch eine vollständige Blockade der Dopaminachse vermeiden, die mit EPS und erhöhten Prolaktinwerten in Verbindung gebracht werden.2

  


Die grundlegende antipsychotische Wirkung

Quelle: Adapted from Kaar, S. J., Natesan, S., McCutcheon, R. & Howes, O. D. Antipsychotics: Mechanisms underlying clinical response and side-effects and novel treatment approaches based on pathophysiology. Neuropharmacology (2019).1

Für ein klinisches Ansprechen ist im Allgemeinen eine Besetzung der Dopamin-D2-Rezeptoren durch Antipsychotika von mindestens 50 % erforderlich, während eine Besetzung von mehr als 85 % zu einem erhöhten Risiko für EPS und andere unerwünschte Nebenwirkungen führt. Dies deutet darauf hin, dass es ein therapeutisches Fenster zwischen 60 % und 80 % für die Besetzung der Dopamin-D2-Rezeptoren gibt, das eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein klinisches Ansprechen mit einem geringen Risiko für EPS in Einklang bringt. Lediglich Clozapin und partielle Agonisten an Dopaminrezeptoren haben sich als Ausnahmen von dieser Regel erwiesen.1
 
Klinisch führt Clozapin zu einer geringeren Besetzung der striatalen Dopamin-D2-Rezeptoren (ca. 40 %), wodurch Rückschlüsse auf seinen Wirkmechanismus und sein Sicherheitsprofil gezogen werden können. Im Gegensatz dazu besetzen Aripiprazol und Cariprazin in therapeutischen Dosen einen höheren Anteil (80 % oder mehr) der D2-Rezeptoren. Folglich benötigen Antipsychotika, bei denen es sich um partielle Agonisten handelt, eine höhere Dopamin-D2-Rezeptor-Besetzung, um eine klinische Wirkung zu erzielen, als dies bei Dopaminantagonisten der Fall ist. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass diese Partialagonisten im Vergleich zu Dopamin an D2‑Rezeptoren eine geringere intrinsische Aktivität aufweisen, was zu einem funktionellen Netto-Antagonismus führt, der letztendlich dem Verhalten von Antagonisten in therapeutischen Dosen ähnelt.1


 


Es ist allerdings schwierig, die intrinsische Aktivität numerisch zu bestimmen, da es eine grosse Variabilität zwischen den Studienbedingungen gibt. Hinzu kommt, dass
In-vitro-Messungen die In-vivo-Bedingungen nicht abbilden können, da diese Rezeptoren nicht isoliert sind, sondern mit mehreren anderen Rezeptoren und transduzierten Proteinen interagieren.6


Wirksamkeit an verschiedenen Dopaminrezeptoren

Alle Antipsychotika können an Dopamin-D2-Rezeptoren binden; einige der Wirkstoffe weisen jedoch auch eine Affinität zu Dopamin-D1– und -D3-Rezeptoren auf. Im Allgemeinen hängt die klinisch relevante Bindung an Dopaminrezeptoren von ihrer relativen Potenz im Vergleich zum endogenen Dopamin an diesen Rezeptoren ab (hat ein antipsychotisches Arzneimittel beispielsweise eine geringere Bindungsaffinität als Dopamin, ist es unwahrscheinlich, dass es eine Wirkung hervorruft). Hinsichtlich der Aktivität an D1– und D3-Rezeptoren hängt die klinische Relevanz auch von der relativen Potenz der Bindung an diesen Rezeptoren im Vergleich zur Bindungspotenz an den D2-Rezeptoren ab. Hat ein Arzneimittel beispielsweise eine geringere Affinität für D1– und/oder D3-Rezeptoren im Vergleich zu D2-Rezeptoren, dann wird die Wirkung an D2-Rezeptoren wahrscheinlich gegenüber der Wirkung an D1– und/oder D3-Rezeptoren dominieren.11

Viele Antipsychotika haben eine D3-Rezeptor-Affinität, die etwa gleich oder höher ist als die Affinität für den D2-Rezeptor und oft niedriger als die D3-Rezeptor-Affinität von Dopamin selbst. Letztere Eigenschaft bedeutet, dass in dopaminreichen Hirnregionen nur eine minimale oder gar keine D3-Rezeptor-Besetzung durch andere Arzneimittel als diejenigen mit der stärksten Bindung an D3 zu erwarten ist. Anders ausgedrückt müssen Arzneimittel eine deutlich höhere D3-Rezeptor-Affinität als Dopamin selbst aufweisen, um klinisch relevant zu sein.

Die einzigen Wirkstoffe, die bei der Behandlung von Psychosen ein klinisch bedeutsames Mass an D3-Rezeptor-Besetzung aufweisen dürften, sind das D3-präferierende Cariprazin und möglicherweise Blonserin (ein in Japan verfügbares Antipsychotikum).12

Es wird angenommen, dass eine verringerte Dopaminfreisetzung im limbischen System mit Anhedonie, depressiven Zuständen, Motivations- und Freudlosigkeit zusammenhängt. Die Ergebnisse in Tiermodellen untermauern diese Annahme und zeigen, dass ein D3-Antagonismus die Kognition, die Stimmung und die Motivation verbessert. Klinische Ergebnisse deuten zudem auf eine bessere Wirksamkeit von Cariprazin bei negativen Symptomen der Schizophrenie hin.12


D3-Rezeptor-Affinität11,12

Quelle: Adapted from Stahl, S. M. Drugs for psychosis and mood: Unique actions at D3, D2, and D1 dopamine receptor subtypes. CNS Spectr. 22, 375–384 (2017).12


Neben den D2– und D3-Rezeptoren1 können auch andere Dopaminrezeptoren erheblichen Einfluss haben. So wird beispielsweise angenommen, dass Dopamin-D1-Rezeptoren eine Rolle bei der Aufmerksamkeit, dem Arbeitsgedächtnis und der Exekutivfunktion spielen. Theoretisch könnten Arzneimittel, die D1-Rezeptoren blockieren oder überstimulieren, die D1-Rezeptoren dysregulieren, was hypothetisch zu kognitiven Dysfunktionen führen könnte. Eine kognitive Dysfunktion wäre eindeutig eine unerwünschte Wirkung von D1-Rezeptoren-blockierenden Wirkstoffen, insbesondere bei Patienten mit Erkrankungen, die durch kognitive Dysfunktion gekennzeichnet sind, wie Schizophrenie und bipolare Störung. Die Besetzung des Dopamin-D1-Rezeptors variiert bei klinisch wirksamen Dosen stark zwischen den einzelnen Antipsychotika. So liegt die Besetzung bei Haloperidol bei 0 %, bei Risperidon bei ca. 25 % und bei Clozapin bei bis zu ca. 60 %.1

Manche Arzneimittel weisen Affinitäten zu Dopamin-D1-Rezeptoren auf, die nahe an ihren D2-Rezeptor-Affinitäten liegen und grösser sind als die Affinität von Dopamin für D1-Rezeptoren (die relativ gering ist), was auf eine potenziell klinisch relevante Besetzung von D1-Rezeptoren unter therapeutischen Dosen hindeutet.12 Manche der Arzneimittel, die potenziell eine klinisch relevante Blockade von D1-Rezeptoren bewirken, blockieren auch cholinerge Muskarin- sowie Histaminrezeptoren in unterschiedlichem Ausmass. Dadurch erhöht sich theoretisch das Potenzial zur Behandlung kognitiver Dysfunktionen. Es ist noch zu zeigen, ob der D1-Antagonismus einen potenziellen Nutzen hat.12


Ist die Dopaminkonzentration im Präfrontalen Kortex (PFC) zu hoch oder zu niedrig, können kognitive Defizite auftreten13

Quelle: Adapted from Cools, R. & D’Esposito, M. Inverted-U-shaped dopamine actions on human working memory and cognitive control. Biol. Psychiatry 69, e113-125 (2011)13.


D4-Rezeptoren finden sich in ähnlichen Hirnregionen wie D2-Rezeptoren, allerdings in wahrscheinlich niedrigeren Konzentrationen. Clozapin ist einzigartig, da es aufgrund seiner hohen Affinität für D4-Rezeptoren im Verhältnis zu seiner Affinität für Dopamin-D2-Rezeptoren einen höheren Anteil an Dopamin-D4-Rezeptoren bei klinisch wirksamen Dosen besetzt haben dürfte als andere Antipsychotika. In der Praxis haben selektive Dopamin-D4-Rezeptor-Antagonisten jedoch bisher keine Wirksamkeit als Antipsychotika gezeigt.1
Darüber hinaus sind die Wirkungen von D5-Rezeptoren nicht ausreichend geklärt.

Quellenverweise

  1. Kaar, S. J., Natesan, S., McCutcheon, R. & Howes, O. D. Antipsychotics: Mechanisms underlying clinical response and side-effects and novel treatment approaches based on pathophysiology. Neuropharmacology (2019). doi:10.1016/j.neuropharm.2019.107704
  2. Lieberman, J. A. Dopamine partial agonists: A new class of antipsychotic. CNS Drugs 18, 251–267 (2004).
  3. Lambert, D. G. Drugs and receptors. Contin. Educ. Anaesthesia, Crit. Care Pain 4, 181–184 (2004).
  4. Tadori, Y., Forbes, R. A., McQuade, R. D. & Kikuchi, T. Receptor reserve-dependent properties of antipsychotics at human dopamine D2 receptors. Eur. J. Pharmacol. 607, 35–40 (2009).
  5. Tadori, Y. et al. Differences in agonist/antagonist properties at human dopamine D 2 receptors between aripiprazole, bifeprunox and SDZ 208-912. Eur. J. Pharmacol. 574, 103–111 (2007).
  6. Tadori, Y. et al. Aripiprazole’s low intrinsic activities at human dopamine D2L and D2S receptors render it a unique antipsychotic. Eur. J. Pharmacol. 515, 10–19 (2005).
  7. Tadori, Y., Forbes, R. A., McQuade, R. D. & Kikuchi, T. Functional potencies of dopamine agonists and antagonists at human dopamine D 2 and D 3 receptors. Eur. J. Pharmacol. 666, 43–52 (2011).
  8. Tadori, Y., Forbes, R. A., McQuade, R. D. & Kikuchi, T. In vitro pharmacology of aripiprazole, its metabolite and experimental dopamine partial agonists at human dopamine D 2 and D 3 receptors. Eur. J. Pharmacol. 355–365 (2011). doi:10.1016/j.ejphar.2011.07.020
  9. Koener, B., Focant, M. C., Bosier, B., Maloteaux, J. M. & Hermans, E. Increasing the density of the D 2L receptor and manipulating the receptor environment are required to evidence the partial agonist properties of aripiprazole. Prog. Neuro-Psychopharmacology Biol. Psychiatry 36, 60–70 (2012).
  10. Urban, J. D., Vargas, G. A., Von Zastrow, M. & Mailman, R. B. Aripiprazole has functionally selective actions at dopamine D2 receptor-mediated signaling pathways. Neuropsychopharmacology 32, 67–77 (2007).
  11. Stahl, S. M. Dazzled by the dominions of dopamine: Clinical roles of D3, D2, and D1 receptors. CNS Spectr. 22, 305–311 (2017).
  12. Stahl, S. M. Drugs for psychosis and mood: Unique actions at D3, D2, and D1 dopamine receptor subtypes. CNS Spectr. 22, 375–384 (2017).
  13. Cools, R. & D’Esposito, M. Inverted-U-shaped dopamine actions on human working memory and cognitive control. Biol. Psychiatry 69, e113-125 (2011).
  14. Fachinformation Reagila®. Stand der Information September 2023, www.swissmedicinfo.ch.

Neuropharmacology

Antipsychotics: Mechanisms underlying clinical response and side-effects and novel treatment approaches based on pathophysiology.
Kaar SJ, Natesan S, McCutcheon R, Howes OD.
Neuropharmacology 2019; Jul 9:107704.
“Antipsychotics which act via partial agonism at the dopamine D2/3 receptors, such as aripiprazole, brexpiprazole and cariprazine, represent the third generation of antipsychotics.”
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